Samstag, 3. Dezember 2011

"Clash of civilizations"- ein neorassistischer Theorieansatz?



1.1 Eine Einführung in die Thematik
„Multikulti-Wahn“, „Einwanderungsstop“ oder „Untergang des Abendlandes“ sind Schlagwörter, die in letzter Zeit in der heimischen Medienlandschaft immer mehr Einzug halten. Jedoch auch europaweit lässt sich deutlich erkennen, dass Rechtspopulisten den Schutz der „christlichen europäischen Identität“ höchste Aufmerksamkeit schenken, um gegenüber dem immer „stärker werdenden“ Islam zu bestehen. In der Migrations- und Integrationsdiskussion sind zwei Faktoren immer mehr in den Mittelpunkt gerückt, nämlich die Kultur und die Identität.
Im unlängst erschienenen Buch von Thilo Sarrazin, „Deutschland schafft sich ab“ wird das „Zusammenleben der Kulturen“ als Wunschdenken bezeichnet und heftigst kritisiert. Die Diskussion, bezüglich des Zusammenlebens bzw. des „unmöglichen Zusammenlebens“ verschiedener Kulturen ist jedoch nicht in Folge der letzten Integrationsprobleme aufgekommen, nein diese Diskussion wurde eigentlich schon immer geführt. Nicht nur Thilo Sarrazin oder eingefleischte Rechtspopulisten, wie beispielsweise Gert Wilders in den Niederlanden oder Le Pen in Frankreich, glauben zu wissen warum das Zusammenleben verschiedener Kulturen nicht möglich ist, auch „etablierte“ Sozialwissenschaftler rauben dem Multikulturalismus jegliche Legitimität.
Einer der führenden Ideologen im Kampf gegen den Multikulturalismus ist der 2008 verstorbenen Samuel P. Huntington. In seinem fast 400 Seiten langen Klassiker „The Clash of Civilizations and the Remaking of World Order“ unternimmt der Autor einen gewagten und zugleich provokanten Versuch und unterteilt die Welt in sieben bzw. acht unterschiedliche Zivilisationen, die sich nach Huntington´s Hypothese feindselig gegenüberstehen.
"It is my hypothesis that the fundamental source of conflict in this new world will not be primarily ideological or primarily economic. The great divisions among humankind […] will be cultural.“ (Foreign Affairs 1993: 22). Laut Huntington vollzieht sich nicht mehr ein Konflikt zwischen den zwei Ideologien des Kapitalismus und des Kommunismus, sondern die Konflikte entstehen aufgrund Unterschiedlichkeit der „Zivilisationen“, sowie deren Kultur.

1.2 Forschungsfrage und Erkenntnisinteresse
Genau diese von Huntington formulierte Hypothese wird den Ausgangspunkt unserer Fragestellung bilden, um sich in weiterer Folge der Forschungsfrage zu widmen. Es soll klärt werden, ob Huntington´s Annahme, dass es 8 Weltkulturen gibt, die sich kriegerisch gegenüberstehen, als Neorassismus zu bezeichnen ist. Warum diese Fragestellung ein Erkenntnisinteresse hervorruft lässt sich aus folgender Überlegung ableiten.
Die Theorie von Huntington impliziert, Trennlinien und fragmentiert die Weltbevölkerung in einzelnen Kulturen bzw. Zivilisationen. Auf den ersten Blick ist für viele Menschen diese Überlegung eigentlich logisch. Menschen leben nunmal in unterschiedlichen Kulturen. Bei genauerer Betrachtung und einer reflektierten Sichtweise, wie sich Kultur zusammensetzt, sei es mit der Identitätsbildung bis hin zur Kulturhegemonie bei Gramsci, erscheint die Alltagsannahme sowie Huntington´s Hypothese schon nicht mehr so eindeutig. Kulturen und Identitäten sind nämlich komplexe Gebilde die sich aus einer Vielzahl von unterschiedlichen Faktoren zusammensetzen.
Die von Huntington aufgestellte These, dass sich die Konfliktlinien zwischen den Kulturkreisen verlaufen, impliziert auch, dass Kultur ein abgeschlossenes System ist, welches gewisse Charakteristika und Eigenschaften aufweist. So ist laut Huntington die „Islamische Zivilisation“ eher dem Krieg zugeneigt als die „westliche Zivilisation“. Diese Annahme hat als Grundlage einen sehr homogenen und bedeutungszuschreibenden Kulturbegriff, weil wenn A eher zur Gewalt neigt als B, trifft man bereits eine Zuschreibung wie A oder B beschaffen ist. Diese Zuschreibung ist durch aus problematisch und findet sich wieder im Rassendiskurs des 19. und 20. Jahrhunderts. Der von Huntington verwendete Kulturbegriff und die These, dass sich unterschiedliche Kulturkreise feindselig gegenüberstehen, sagt auch, dass eine „Vermischung“ der verschiedenen Kulturen nicht möglich ist. Die Annahme, dass die „Vermischung“ von unterschiedlichen Kulturen zu einem Konflikt führt, impliziert eine „natürliche Unüberbrückbarkeit“ kultureller Differenzen. Diese ähnelt sehr dem rassistischen Diskurs.
Um nun zur Forschungsfrage zu kommen, möchte ich die These von Huntington als „kulturalistischen Rassismus“ bzw. „Neorassismus“ bezeichnen. Die Formulierung der Forschungsfrage ergibt sich aus der soeben aufgestellten These und lautet: „Wenn Huntington vom „Kampf der Kulturen“ spricht, dann bedient er sich einer neorassistischen Theoriebildung und Argumentationsweise?“

1.3 Beschreibung der methodischen Vorgehensweise
Die inhaltliche Fülle und Breite der Thematik zwingt uns zu einer systematische Vorgehensweise, die zuerst eine klare thematische Eingrenzung erforderlich macht. Huntington´s Werk setzt sich mit einer Vielzahl an Fragestellungen auseinander. Weiters muss einem klar sein, dass uns Huntington keine empirisch belegbare Arbeit liefert. Der Autor schreibt selbst: „[... this book is not intended to be a work of social science. It is instead meant to be an interpretation of the evolution of global politics after the Cold War.“ (Huntington 1996: 13) Er sieht es als eine Interpretation an, die jedoch auch von vielen Politikern rezipiert und in weiterer Folge als Grundlage für die Legitimierung von deren Politik verwendet wurde. Daher besitzt dieses Werk auch eine gewisse Macht, die in weiterer Folge kritisch zu hinterfragen ist.
Viele Thesen, wie oben bereits erwähnt, sind sehr allgemein gehalten und könnten mit einer Vielzahl an empirischen abgesicherten Daten widerlegt werden. Um sich allerdings nicht im Dschungel der einzelnen Deutungen Huntington´s zu verlaufen, beschränken wir uns auf ein zentrales Element seiner Arbeit, nämlich den Kulturbegriff bzw. Zivilisationsbegriff. Um überhaupt seinen Kulturbegriff zu klassifizieren, wird eine Erläuterung von Kultur und deren Funktion im neorassistischen Diskurs unabdingbar sein.
Um Huntington´s Theorie mit dem Neorassismus vergleichen zu können, werden die Begriffe des Neorassismus kurz erläutert werden. Der Hauptteil der Arbeit wird sich jedoch mit dem Vergleich der unterschiedlichen Theorien zu Neorassismus und Huntington´s These, dem „Clash of civilizations“ beschäftigen. Da es sich um eine Gegenüberstellung verschiedenen Theorien handelt, wird die Überprüfung der Forschungshypothese, ob Huntington´s Annahme als neorassistisch zu bezeichnen ist, aus dem Vergleich der Theorie des Neorassismus mit der Theorie des „Kampfes der Kulturen“ erfolgen. Um diese Gegenüberstellung durchzuführen muss jedoch zuerst ein theoretisches Grundgerüst gebildet werden.

Theoretischer Ansatz

Wenn man sich mit Kultur beschäftigt muss erwähnt werden, dass wir eine Unzahl an verschiedenen Kulturbegriffen im täglichen Sprachgebrauch verwenden. Einer der meist gemachten Fehler, der vor allem im deutschen Alltagssprachgebrauch vorkommt, ist, dass Kultur mit der „hohen Kultur“ wie Musik und Kunst gleichgesetzt wird. Kultur ist, wie es Rolf Lindner treffend formuliert: „whole way of life“ (Lindner 2002: 73). Das heißt in weiterer Folge, dass Kultur die Lebensformen und Lebensweisen der Menschen beschreibt. Zusätzlich sollte noch betont werden, dass im angelsächsischen Raum das Wort „civilization“ die bevorzugte Ausdrucksweise für „Kultur“ ist. (vgl. Müller 1998: 10).
Um den Begriff von Kultur genauer zu definieren wurden zwei Autoren ausgewählt, die sich mit der Problematik des Kulturbegriffes in Bezug auf Samuel Huntington und des neorassistischen Diskurses auseinandersetzen.



Kulturbegriff bei Harald Müller
Der deutsche Soziologe und Politikwissenschaftler Harald Müller definiert Kultur über das zivilisatorische Hexagon von Dieter Senghaas, welches den „Entwicklungsstand der Technik“, „die Wirtschaftsweise“, das „Herrschaftssystem“, „die gesellschaftliche Gliederung“, „das Rechtssystem“ und das „Wertesystem“ zu den ausschlaggebenden Charakteristika einer Zivilisation bzw. Kultur zählen. (vgl. Müller1998: 33). Laut Harald Müller ist davon auszugehen, dass Kultur sich aus den Wechselwirkungen dieser Faktoren zusammensetzt. Durch diese Komplexität und den ständigen Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Faktoren, die eine Gesellschaft prägen, muss man davon ausgehen, dass Kultur sich ständig verändert. „Kulturen sind in einem ständigen Fluss, sie entwickeln sich und ändern sich sprunghaft […] aus diesem Grund ist es unzulässig, unterschiedliche Kulturen starr gegeneinanderzusetzen und ihre Konfrontation […] voraus zu sagen.“ (Müller 1998: 34).
Nach der Ansicht von Harald Müller begrenzt Huntington die Kultur nur auf das Wertesystem. Das ausschlaggebende und identitätsstiftende Element, stellt bei Huntington die Religion dar. Zusätzlich fügt Müller noch hinzu, dass neben dem von Huntington verwendeten Kulturbegriff auch, die These des „Clash of civilizations“ nicht stimmen kann, da Kulturen bzw. Zivilisationen keine politischen Akteure darstellen. Sie können daher auch nicht in der Weltpolitik agieren, wie beispielsweise Staaten oder militärische Bündnisse. „[...der Kulturkampf [ist] nichts weiter als eine Metapher, sie bezeichnet keine politische Realität“ (Müller 1998: 42)

2.2 Kulturbegriff bei Gerhard Hauck
Um nun jedoch wieder auf die Fragestellung einzugehen, ob die These vom „Clash of civilizations“ als Neorassismus bzw. als kulturalistischer Rassismus zu bezeichnen ist, muss zuerst geklärt werden, warum der Faktor Kultur, Teil der rassistischen Theoriebildung ist.
Gerhard Hauck, Professor für Soziologie an der Universität Heidelberg beschäftigt sich in seinem Buch „Kultur: zur Karriere eines sozialwissenschaftlichen Begriffs“ mit dem Kulturdiskurs. Laut Hauck ist Kultur, fixer Bestandteil eines neuen Rassendiskurses. Eine seiner Hauptthesen ist, dass der Kulturbegriff den Rassenbegriff abgelöst hat. (vgl. Hauck 2006: 8). „Rassenunterschiede“, werden heutzutage nicht mehr verwendet um Menschen auszugrenzen, da diese Theorie in unserer heutigen Gesellschaft als verpönt gilt. Viel mehr wird laut Gerhard Hauck der Begriff der Kultur verwendet um Ausschließungspraktiken gegenüber Minderheiten zu legitimieren. „Rassen-Unterschiede spielen in den offiziellen Diskursen zur Legitimierung von fremdenfeindlichen Politiken kaum noch eine Rolle, umso mehr aber kulturelle“ (Hauck 2006: 8).
Der Rassendiskurs arbeitet somit nicht mehr mit „Rassen“, sondern probiert auf subtile Art und Weise den Begriff der Kultur zu ersetzen und in weitere Folge Kultur als etwas „angeborenes“ und „unüberbrückbares“ anzusehen. Kultur wird definiert, als eine abgeschlossene Einheit, die sich jeglicher Vermischung widerstrebt. In seinem Buch veranschaulicht Gerhard Hauck, die Problematik mit der Annahme, dass Kulturen unveränderbar sind mit folgenden Beispiel: Wären Kulturen starre Konstrukte, so würden sie wie Billardkugeln gegeneinanderprallen und es würde zu einem „Clash of civilizations“ kommen. (vgl. Hauck 2006: 17). Dies ist jedoch nicht der Fall da Kulturen „[...hybride einander überlappende, sich permanent veränderte Gebilde [sind]“ (Hauck 2002: 17)

Funktionsweise des Rassismus in Bezug auf Neorassismus
Bevor wir nun alle Theorien und Begriffsstricke zusammenführen muss noch ein bedeutender Begriff erläutert werden, der die hauptausschlaggebenden Grundlage unserer Hypothese bildet, nämlich der des Neorassismus.
Rassismus ist, wie bereits erwähnt, eine Ausschlusspraxis von gewissen Menschengruppen. Um diese Ausschlusspraxis zu legitimieren bedarf es einer Grundnahme, warum gewisse Menschen mehr wert sind als andere. Vorweg muss noch hinzugefügt werden, dass Kulturen bzw. „Rassen“, die de facto nicht real existieren und etwas vom Menschen erfundenes sind. (vgl. Hobsbawm 1983: 13f.).
Robert Miles beschreibt die Funktion von Rassismus folgend: „Status und Herkunft der Gruppen werden als natürlich und unveränderlich vorgestellt, das Anderssein der Gruppe erscheint als eine ihr innewohnende Tatsache.“ (Miles 2000: 24). Weiters werden laut Miles auch somatische Merkmale wie beispielsweise Hautfarbe mit einer Bedeutung versehen. Dieser ursprüngliche Rassendiskurs ist, wie oben bereits erwähnt, in Verdrängung geraten. Nicht mehr die Hautfarbe wird als Kriterium herangezogen, um gewisse Gesellschaftsschichten zu diskriminieren, sondern deren Lebensweise, Lebensform und Lebenspraktiken, kurz gesagt, deren Kultur.
Wenn nun nicht mehr die äußern Merkmale ausschlaggebend sind, sondern wie bereits erwähnt die ganze Kultur, so spricht man von einem „Neorassismus“, „kulturalistischen Rassismus“ oder auch von einem „Kulturalismus“.
Einer der Haupttheoretiker des Neorassismus ist der französische Philosoph Etienne Balibar. Er vertritt folgende Grundthese vom Neorassismus, die auch als Definition eines solchen verwendet werden kann. „ [Neorassismus ist] ein Rassismus, dessen vorherrschendes Thema nicht mehr die biologischen Vererbung, sondern die Unaufhebbarkeit der kulturellen Differenzen ist“ (Balibar 1998: 28). Weiters ruft beim Neorassismus laut Balibar die Kultur, als feste und unveränderbare Einheit, eine „natürliche“ menschliche Reaktion hervor. Kommt es zur Vermischung verschiedener kulturellen Einheiten, erzeugt dies eine menschliche „Abwehrreaktion“. Durch die Transformation vom klassischen „Rassismus mit Rassen“ zum, wie es Balibar bezeichnet „Rassismus ohne Rassen“ geschieht folgendes: „.[N]icht die rassistische Zugehörigkeit, sondern dass rassistische Verhalten [wird] zu einem natürlichen Faktor erklärt.“ (Balibar 1992: 30). Kurz zusammengefasst könnte man sagen, dass die Unterschiedlichkeit von Kultur A zu Kultur B, bei der „Vermischung“ dieser beiden Kulturen, zu einer notgedrungenen rassistischen Handlung führt. In unserem Fall zu einem „Clash of civilizations“.
Charlotte Spitzer, die sich vorwiegend mit Neorassismus in Bezug auf Europa auseinandersetzt, spricht von einer „Naturalisierung menschlichen Verhaltens“ (Spitzer 2003: 70). Sie geht allerdings auch auf Huntington ein und bezeichnet ihn als einen Vertreter der kulturhegemonialen Doktrin. (vgl. Spitzer 2003: 131). Diese Doktrin, beurteilt andere Kulturen von einem stark eurozentristischen Standpunkt aus, welche die „westliche“ Kultur als fortschrittlich ansieht und den Rest der Welt als „rückständig“ und „primitiv“. Diese Identitätsbildung die mit einem starken „Wir versus Sie“ Gefühl spielt, bildet die Grundlage von Huntington´s Zivilisationsparadigma.
Mit dieser Grundproblematik, wie die „Westliche Welt“ über den „Rest“ spricht, setzt sich auch Stuart Hall, Mitbegründer der Cultural Studies auseinander. Er analysiert den kulturell hegemonialen Diskurs und stellt fest, dass dieser eurozentristisch geführte Diskurs maßgeblich dafür verantwortlich ist, wie wir über andere Kulturen denken und sogar in der Praxis mit ihnen umgehen (vgl. Hall: 1994: 178).
Diese Annahme, ist von wesentlicher Bedeutung, wenn wir am Schluss, die Funktion des Werkes von Huntington kurz erläutern. „The Clash of civilization“ ist also nicht nur ein 400 seitige Interpretation, sondern hat auch Einfluss auf die Praktiken bzw. auch Ausschließungspraktiken von Menschen.

Samuel P. Huntington
Nachdem wir nun ein theoretisches Grundgerüst in Bezug auf den Kulturbegriff, und dessen Verwendung im Neorassistischen Diskurs aufgestellt haben, können wir uns Samuel Huntington´s Theorie widmen. Hierfür werden wir zuerst seinen Begriff von Kultur bzw. Zivilisation erläutern und in weitere Folge uns mit der Funktion seines Zivilisationsparadigmas beschäftigen.

Kulturbegriff bei Huntington
Wie schon Hauck erwähnt, verwendet Huntington nicht den Begriff der Kultur, sondern den Begriff der Zivilisation. Als Zivilisation definiert er die größte Einheit, mit dem sich ein Mensch identifizieren kann. „ A civilization is thus the highest cultural grouping of people and the broadest level of cultural identity people have...]“. (Huntington 1996: 43) Die Zivilisation an sich ist wiederum definiert durch Sprache, Geschichte, Religion und der Selbstidentifizierung der Menschen. Diese Identifizierung ist laut Huntington ein natürlicher Prozess. Huntington ist der Ansicht, dass der Mensch sich automatisch die Frage stellt, wer bin ich? Diese Identitätsbildung erfolgt in dem er sich in Staaten, Religionen und Zivilisationen wiedererkennt. „We know only when we know who we are not and often only when we know whom we are against“. (Huntington 1996: 21) Die Selbstidentifikation beruht nun darauf, dass man Unterschiede zum „Fremden“ sucht und sich in weiterer Folge zu anderen Zivilisationen hin abgrenzt. Die Differenzen sind laut Huntington jedoch nicht mehr ideologischer, politischer oder ökonomischer Art, nein sie sind kultureller Natur. (vgl. Huntington 1996: 21). Die Kultur ist nun dafür verantwortlich, dass es zu einem „Clash of civilizations“ kommt!
In seinem Buch beschreibt Huntington, etliche Faktoren die ausschlaggebend dafür sind, wie nun Zivilisationen beschaffen sind. Eines wird aber klar deutlich, Religion ist für ihn das zentrale Elemente einer Zivilisation. „Religon is a central defining characteristic of civilizations“ (Huntington 1996: 47).
Zur „Natur“ der Zivilisationen fügt er jedoch hinzu, dass sie keine festgesetzten Grenzen, keinen präzisen Anfang und präzises Ende haben, sowie eine Neuidentifizierung mit einer anderen Zivilisation möglich ist. „Civilizations have no clear- cut boundaries […] people can and do redefine their identieties […] the cultures of peoples interact and overlap“ (Huntington 1996: 43). Er stellt aber klar fest, dass die Zivilisationen reale Gebilde bzw. Wesen sind. „Civilizations are nonetheless meaningful entities, and while the lines between them are seldom sharp, they are real“ (Huntington1996: 43). Diese Aussage wird in der Beantwortung unserer Forschungsfrage von zentraler Bedeutung sein, da sie erstens den von Huntington verwendeten Kulturbegriff widerspiegelt und zweitens ein Gedankenkonstrukt impliziert, welches die Grundlage des neorassistischen Diskurses darstellt.

Huntingtons Zivilisationsparadigma
Wie bereits in der Einleitung erwähnt geht die zentrale Hypothese Huntington´s nicht mehr davon aus, dass Konflikte auf einer ideologischen Ebene bzw. ökonomischen Ebene ausgetragen werden, sondern, dass es zu einem kulturellen Konflikt kommt. Dieser Konflikt verläuft zwischen den verschiedenen Zivilisationen.
In weitere Folge schreibt er den unterschiedlichen Zivilisation gewisse Eigenschaften und Wertehaltungen zu. Der „Westen“ ist geprägt von Liberalismus und Demokratie, hingegen die „Islamische Zivilisation“ von Traditionalismus, Glaube und Religion. Diese Eigenschaften führen laut Huntington dazu, dass die „Islamische Zivilisation“ eher zu Konflikt und Auseinandersetzung neigt als die „Westliche Zivilisation“. Er beschreibt diese Annahme sehr überspitzt mit: „Islam´s bloody boarders“ (Huntington: 1996: 254)
Ein weiteres Problem stellt für ihn das Bevölkerungswachstum der „nicht-westlichen“ Welt dar. Im Jahre 1920 machte die „Westliche Zivilisation“ 49% der Weltbevölkerung aus, im Gegensatz dazu soll 2020 der „Westen“ nur mehr 10% der Gesamtbevölkerung ausmachen. (vgl. Huntington 1996: 91). Kurz gesagt, der Westen ist durch den Rest der Welt bedroht, um diese Bedrohung zu umgehen muss der Westen neue Strategien entwickeln bzw. sich nach „innen“ wie nach „außen“ neu orientieren.
Der „Westen“, sollte sich vom Gedanken verabschieden, westliche Werte, wie Demokratie und Freiheit in nicht westliche Gesellschaften zu transformieren, da diese mit den traditionellen und religiösen Werten, der nicht-westlichen Gesellschaft unvereinbar sind. Im Gegenzug dazu, sollte die „westliche Zivilisation“ auf sich selbst zurück beziehen, um die eigenen Werte zu stärken und zu schützen. Dieser Prozess sei notwendig, da es in der westlichen Welt zu einem Werteverfall kommt. Dieser macht sich bemerkbar durch, den Verlust von familiären Werten, „Erosion“ des christlichen Glauben oder sinkender Arbeitsmoral. Diese „Fehlentwicklung“ wird noch verstärkt durch die immer stärker werdende Migration, welche zur Folge hat, dass sich „nicht-westliche“ Gesellschaften in der „westlichen Zivilisation“ etablieren. Der „Westen“ wird quasi vom „Rest der Welt“, speziell dem Islam, durch die Implementierung der eigenen Werte herausgefordert: „[... such challenge comes from immigrants from other civilizations who reject assimilation and […] propagate the values, customs, and cultures of their home societeies...]“ (Huntington: 1996: 304f.). Jedoch nicht nur MigrantInnen sind laut Huntington schuld am Niedergang „westlicher“ Werte, auch „westliche Multikulturalisten“, die ein Land mit einer Vielzahl an Zivilisationen fordern. Sie glauben laut Huntington an eine multikulturelle Gesellschaft, die jedoch nicht möglich ist. Ein Land müsse sich mit einer Zivilisation identifizieren und beruft sich dabei auf die Geschichte. „History shows that no country so constituted (country of many civilizations) can long endure as coherent society.“ (Huntington: 1996: 306). Er geht sogar noch einen Schritt weiter und beschuldigt die Multikulturalisten, die „westliche Zivilisation“ und deren Werte zu deformieren und zu zerstören. Nicht nur zwischen der westlichen Zivilisation und der „nicht-westlichen“ kommt es zu einem Zusammenprall, auch innerhalb des Gesellschaft, nämlich zwischen den Verteidigern des „westlichen Wertesystems“ und den Multikulturalisten.

Zusammenführung und Analyse der Theorie
Nachdem wir uns nun eine theoretische Grundbasis erarbeitet haben, können wir nun zur Beantwortung unserer Forschungsfrage kommen.
Jedoch sollte vorher neuerlich klar gemacht werden, dass Huntington in seinem Buch, die politische Lage des 21. Jahrhundert interpretiert und daher nicht auf eine gesicherte Datenlage zurückgreift, sondern viel mehr eine Deutung der politischen Zukunft unternimmt. Daher ist es nicht sinnvoll sich mit Detailfragen Huntington´s zu beschäftigen, ob beispielsweise im 21. Jahrhundert die „westliche“ Bevölkerung auf 10% der Weltbevölkerung schrumpfen wird, nein viel mehr interessiert uns, ob Huntington´s Theoriebildung, neorassistische Grundzüge aufweist. Dafür wurde im ersten Teil der Arbeit der Kulturbegriff und dessen Verwendung im neorassistischen Diskurs genauer analysiert. Darauffolgend kam es zu einer näheren Betrachtung Huntington´s Kulturbegriff und dessen Bedeutung in seinem Zivilisationsparadigma. Nun werden wir nun alle Stricke zusammenführen um letztendlich zur Beantwortung der Forschungsfrage zu kommen.

Überprüfung der Forschungsfrage
Beginnen wir nun mit der Überprüfung unserer Forschungsfrage. Am Anfang steht laut Huntington die Identitätsproblematik. Jeder Mensch identifiziert sich mit verschiedenen Kulturen und Wertesystemen. Diese Überlegung scheint auf den ersten Blick logisch. Huntington fügt jedoch hinzu, dass wir uns erst dann erkennen, wenn wir wissen gegen wen wir sind. Dieser Gedanke baut auf einer dichotomen „Wir-Sie“ Identitätsbildung auf, die das Konstruieren eines Feindbildes voraussetzt. Solch ein Vorgang hat zur Folge, dass wir jegliche Differenz innerhalb einer „Zivilisation“ nicht erkennen. Ein Denken mit Vorurteilen und Stereotypen ist dadurch vorprogrammiert. Vorurteile und Stereotypen wiederum sind fixe Bestandteile des rassistischen Diskurses. Laut Robert Miles wird das „Anderssein“ als eine innewohnende Tatsache betrachtet. (vgl. Miles 2000: 24)
Wenn Huntington den einzelnen Kulturen gewisse Eigenschaften zuschreibt, wie beispielsweise der Islam neige eher zu gewalttätigen Konflikten als andere Zivilisationen, so bedient er sich einer rassistischen Bedeutungskonstruktion. Im ursprünglichen rassistischen Diskurs war es die Hautfarbe, die mit einer Bedeutung versehen wurde. Der Neorassismus vollzieht dies mit der Lebensweise bzw. Lebensform, in unserem Fall der „islamischen“ Lebensweise.
Obwohl der Autor auf Seite 43, erwähnt, dass Menschen in der Lage sind ihre Identitäten neu definieren und Kulturkreise sich auch überlappen, verwendet er einen sehr starren und homogenen Kulturbegriff. Hybriden Kulturen, die sich aus verschiedenen Bestandteilen persönlicher Identifizierung zusammensetzen, erteilt Huntington eine klare Absage. Er geht davon aus, dass das hauptausschlaggebende Element persönlicher Identifizierung mit der jeweiligen Zivilisation, die Religion sei. Diese Annahme ist noch nicht zwangsläufig neorassistisch, dennoch müssen wir festhalten, dass seine Argumentation nicht stimmen kann, wenn wir auf bereits bestehende multikulturelle und hybride Kulturformen verweisen. Seine Argumentation passiert auf einem sehr vereinfachten und abstrahierten „Schwarz-Weiss“ Denken, die jegliche Form von kultureller Vielfalt negiert.
Um nun jedoch die Forschungsfrage beantworten zu können, bedarf es der Überprüfung zweier weiteren Betrachtungen. Erstens, Huntington´s Kulturbegriff und zweitens seiner Hauptannahme, dem „Clash of civilizations“ selbst.
Wie wir bereits bei Huntington´s Kulturbegriff erwähnt haben, konzentrieren wir uns auf eine Hauptaussage in seinem Werk. „Civilizations are nonetheless meaningful entities [...], they are real“. (Huntington 1996: 43). Mit dieser Annahme, dass „Zivilisationen“ reale Gebilde sind, widerspricht man erstens der allgemeinen Auffassung, dass Zivilisationen sozial gedachte Konstrukte sind und zweitens sieht man Zivilisationen als „natürlich“ an. Diese Natürlichkeit impliziert jedoch auch, dass die kulturellen Unterschiede zwischen den Menschen, sowie deren unterschiedliches Verhalten eine Natur gegebene Tatsache ist. Genau diese Ansicht spiegelt sich im rassistischen Diskurs wieder. Um Robert Miles nochmals zu zitieren: „Status und Herkunft der Gruppen werden als natürlich und unveränderlich vorgestellt, das Anderssein der Gruppe erscheint als eine ihr innewohnende Tatsache“ (Miles 2000: 24). Der deutsch-türkische Historiker und einer der schärfsten Kritiker Huntington´s, Gazi Çağlar bezeichnet es folgend: „In der Tat definiert Huntington Zivilisationen mit Merkmalen biologischen Lebens.“ (Çağlar 2002: 23). Durch diese Überprüfung haben wir nun den ersten Hinweis auf eine neorassistische Theoriebildung.
Zum Schluss sollte jedoch die Hauptannahme Huntington´s überprüft werden. Der „Clash of civilizations“ geht ja davon aus, dass es bei einer Vermischung der verschiedener Kulturen zu einem unvermeidlichen Konflikt kommt. Man könnte es jedoch auch noch anders formulieren. Die Reaktion der Menschen, also der Konflikt, ist eine natürliche Reaktion des Menschen. Es muss zwangsweise und da führt kein Weg vorbei, zu einer Abwehrreaktion kommen, sollte Person A mit der Kultur der Person B in Kontakt kommen. Genau diese Annahme ist wiederum Teil neorassistischer Theoriebildung. Um Etienne Balibar, Haupttheoretiker des Neorassismus zu zitieren: „ [...nicht die rassistische Zugehörigkeit, sondern dass rassistische Verhalten [wird] zu einem natürlichen Faktor erklärt“ (Balibar 1992: 30). Mit dieser Gegenüberstellung wird klar, dass das Zusammenprallen der Kulturen nicht nur wissenschaftlich untragbar ist, sondern selbst Teil des neorassistischen Diskurses ist.
Neben der neorassistischen Annahme, dass kultureller Differenzen „natürlich“ sind, kommt es jedoch auch noch zu einer Naturalisierung Menschlichen Verhaltens. (vgl. Spitzer 2003: 70). Es entsteht eine Verbindung zwischen der Lebensweise bzw. Verhaltensweise eines Menschen mit seiner ethisch kulturellen Herkunft. „Kultur wird eine Form von Natur. “(Spitzer 2003: 70). Genau diese Funktion übernimmt auch der neorassistische Diskurs in dem er nicht mehr die „Rassen“ als Kriterium heranzieht, sondern die unterschiedliche Lebensweise der Menschen. Das Ergebnis ist das gleiche. Menschengruppen werden ausgegrenzt.
Die Beantwortung der Forschungsfrage ergibt sich aus den eben genannten Punkten. Ja Huntington`s Theoriebildung ist als neorassistisch zu bezeichnen. Und auch wenn sein Buch eine reine Interpretation bzw. Deutung der politischen Verhältnisse ist, so ist der „Clash of Civilizations“ Teil eines rassistischen Diskurses!

Schlussfolgerungen
Zum Schluss sollte betont werden, dass dieses Buch von unzähligen politischen Akteuren rezipiert worden ist. Huntington´s These liefert mit dem „Clash of Civilizations“ eine Theorie, die als Legitimationsgrundlage für zahlreiche Ausgrenzungspraktiken gegenüber anderen Kulturen, herangezogen wird. Die wirklichen Probleme einer Gesellschaft sind nicht die kulturellen Unterschiede, sondern viel eher die Hetzer, die sich an solch einem Gedankengebäude bedienen und damit die Existenzgrundlage des kulturellen Zusammenlebens zerstören.
Bei der Recherche der Literatur wurde ich auf das Buch „Identitätsfalle“ von Armayta Sen aufmerksam, dass einen Gegenentwurf zu Huntington´s Zivilisationsparadigmas liefert und ein klares Plädoyer für eine multikulturelle Gesellschaft ist. Bücher wie diese schaffen einen Gegenpol zum menschenfeindlichen rassistischen Diskurs. Multikulturelle Gesellschaften sind keine Gefahr, sie stellen eine Chance dar, die genützt werden muss. Nur dann können wir unser aller Ziel erreichen. Eine friedliche Welt!

Literatur

Huntington, Samuel: The Clash of Civilization?, In: Foreign Affairs, Jg. 72, Nr. 3, 1993, S. 22-49

Huntington, Samuel P. (1996): The Clash of Civilizations and the Remaking of World Order. New York: Simon and Schuster.

Balibar, Ètienne (1998): Rasse, Klasse, Nation. Ambivalente Identitäten. Berlin/Hamburg: Argument-Verlag.

Çağlar, Gazi (2002): Der Mythos vom Krieg der Zivilisationen: der Westen gegen den Rest der Welt; Eine Replik auf Samuel P. Huntingtons „Kampf der Kulturen“. Münster: Unrast.

Hall, Stuart (1994): Rassismus und kulturelle Identität. Ausgewählte Schriften Band 2. Hamburg: Argument-Verlag.

Hauck, Gerhard (2006): Kultur. Zur Karriere eines sozialwissenschaftlichen Begriffs. Münster: Westfälisches Dampfboot.

Hobsbawm, Eric. (1983): Introduction: Invention of Traditions In: ders. Und T. Ranger (Hg.): The Invention of Tradition. Cambrigde University.

Lindner, Rolf (2002): Konjunktur und Krise des Kulturkonzepts. In: Lutz Musner/ Gotthart Wunberg (Hg.): Kulturwissenschaften: Forschung- Praxis- Positionen. Wien. WUV. 69-87.

Miles, Robert (2000): Bedeutungskonstitution und der Begriff Rassismus. In: Nora Räthzel (Hg.): Theorien über Rassismus. Hamburg: Argument-Verlag. 17-33

Müller, Harald (1998): Das Zusammenleben der Kulturen. Ein Gegenentwurf zu Huntington. Frankfurt/M: Fischer.

Sen, Amartya (2006): Die Identitätsfalle. Warum es keinen Krieg der Kulturen gibt. München: C.H. Beck.

Spitzer, Charlotte (2003): Neorassismus und Europa. Rassistische Strukturen in der Selbstvergewisserung europäischer Identität. Frankfurt/M: Europäische Hochschulschriften.

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