Samstag, 3. Dezember 2011

Spannungsfeld: staatliche Souveränität und humanitäre Intervention am Beispiel der Nato- Intervention in Libyen



Ausgangslage: Libyen Intervention
Die UN-Resolution 1793 die am 17. März 2011 vom UN-Sicherheitsrat verabschiedet wurde und eine militärische Intervention der NATO autorisierte, befindet sich in einem Spannungsfeld zwischen zwei Konzepten, nämlich dem Konzept der staatliche Souveränität und dem Konzept der Menschenrechte. Die Rechtfertigung für ein militärisches Eingreifen von außen wurde im Zusammenhang mit dem Schutz der Zivilbevölkerung argumentiert. Die Un-Mitgliedstaaten erhielten das Recht mit „allen erforderlichen Maßnahmen“ den Schutz der Zivilisten durchzusetzen und die Gewalt des Gadhafi Regimes zu stoppen. Mit „all necessary measures“ wurde nicht nur die Errichtung einer Flugverbotszone gerechtfertigt, sondern auch militärische Gewaltakte gegen Bodenziele waren nun möglich. Einzig und allein eine Bodenoffensive wurde in der Resolution 1793 nicht genehmigt. Damit wurde die im Vorfeld viel diskutierte Flugverbotszone bei weitem übertroffen. Die Antwort aus Tripolis ließ nicht lange auf sich warten. Der libysche Regierungssprecher Ibrahim Mussa betonte, dass die Charta der Vereinten Nationen jede Einmischung von außen in innere Angelegenheiten verbietet. Die Resolution würde daher im Widerspruch mit dem Nichteinmischungsgebot nach Artikel 2 der UN Charta stehen. Dieses besagt, dass es Staaten nicht erlaubt ist Gewalt bzw. die Androhung von Gewalt gegen andere Staaten auszuüben.
Somit herrscht ein generelles Interventionsverbot bzw. Gewaltverbot, welches bis auf wenige Ausnahmen beschränkt ist, wie beispielsweise die Selbstverteidigung und Maßnahmen zur Sicherung des Friedens. Dies spiegelt sich auch im Konzept der Souveränität der Staaten wieder, die sowohl über externe als auch interne Souveränität verfügen. Nach innen haben die Staaten ein Monopol über die Herrschaftsausübung, welches jedoch durch territoriale Grenzen beschränkt wird. Auf Basis dieser Grundlage darf sich kein Staat in fremde Staatsangelegenheiten einmischen. Somit wäre aus Sicht der staatlichen Souveränität, ein libyscher Bürgerkrieg eine interne Angelegenheit. Dieser wird bzw. wurde nämlich zwischen dem übrig gebliebenen Machtapparat Gadhafi´s und den „abtrünnigen“ Rebellen aus Benganzi geführt und tangiert auf den ersten Blick kein Territorium eines anderen Staates. Somit wäre die militärische Intervention der Nato nicht konform mit der Charta der Vereinten Nationen, die eine Einmischung in interne Angelegenheiten verbietet. Dieser Sachverhalt muss jedoch im Zusammenhang mit dem Schutz der Menschenrechte gesehen werden.
Dabei lässt sich seit dem Ende des Ost-West Konflikts eine Veränderung erkennen, die eine grobe Verletzung der Menschenrechte als mögliche Rechtfertigung für eine Intervention anerkennt. Die Rechtfertigung konzentriert sich dabei auf die „Bedrohung des Frieden“ und zugleich wird dem UN-Sicherheitsrat die Kompetenz übertragen eine solche Bedrohung festzustellen.
Der „Background“ für diese Argumentation entspringt der Überlegung, dass fundamentale Menschenrechtsverletzungen, darunter auch Gewaltakte gegen die eigene Zivilbevölkerung, nicht nur die interne Sicherheit gefährden, sondern auch die internationale Sicherheit. Eine Intervention auf Grundlage dieser Argumentation wurde erstmals im Irak Krieg 1991 angewendet. Dabei wurde argumentiert, dass die fundamentalen Menschenrechtsverletzungen gegen die Zivilbevölkerung und die damit verbunden internationalen Flüchtlingsströme den internationalen Frieden gefährden. Spätere Resolutionen die sich auf die Bürgerkriege von Bosnien und Somalia bezogen, wurden erstmals mit der Begründung des Schutzes der Menschenrechte, verabschiedet. Humanitäre Interventionen, als ein Novum der Weltpolitik waren jedoch aufgrund der desaströsen Somalia Intervention heftig umstritten. Das Konzept der humanitären Intervention erlitt spätestens mit dem Völkermord in Ruanda einen tiefen Einbruch. Als eine Reaktion auf die fehlgeschlagene Somalia Intervention konnte sich der Weltsicherheitsrat nicht auf ein Eingreifen einigen. Als die Nato 1999 in den Kosovo Konflikt intervenierte und dies ohne eines Mandates des Sicherheitsrates durchführte, wurde die Diskussion über staatliche Souveränität und den Schutz der Menschenrechte erneut entfacht. Ein richtungsweisendes Ereignis in dieser Diskussion die Rede des zu dieser Zeit amtierenden UN Generalsekretärs Kovi Annan. Er betonte, dass man das Prinzip der staatlichen Souveränität überdenken sollte und dieses nicht pauschal als etwas den Menschenrechten Übergeordnetes betrachten dürfe. Aufgrund der bereits durchgeführten Interventionen und den Ereignissen in Ruanda, entwickelte sich in der Internationalen Staatengemeinschaft eine Diskussion, welche zwischen den Spannungspolen, der humanitären Intervention und dem völkerrechtlichen Gewaltverbot geführt wurde. Die politikwissenschaftliche Literatur griff diese Thematik auf und beschäftigte sich mit den oftmals konträren Positionen. So entwickelte sich eine theoretische Debatte, die von einem Spannungsverhältnis dieser zwei Konzepte ausging. Abseits konventioneller Sichtweisen entwickelte sich auch ein konstruktivistisches Erklärungsmodell, welches die vermeintlich konkurrierenden Konzepte der staatliche Souveränität und der humanitären Intervention nicht nicht per se als konträr begriff.
Vom Standpunkt des Konstruktivismus aus verstehen sich die Konzepte als diskursive Rechtfertigungs- Strategien, die in einem engen Zusammenhang mit kulturellen Normsetzungen stehen. Dies führt uns auch zur Fragestellung des Essays, der sich mit den „vermeintlich“ unterschiedlichen Prinzipien dieser zwei Konzepte auseinandersetzt. Welche Grundannahmen liegen dem Konzept der humanitären Intervention und dem völkerrechtlichen Souveränitätsprinzips zu Grunde bzw. welche Eigenschaft sind für deren Spannungsverhältnis verantwortlich?
Um diese Frage zu beantworten, werden zuerst grundlegende Begriffe, wie Intervention und Souveränität genauer erläutert. Anschließend sollen Konzepte wie, das von der ICISS (International Commission on Intervention and State Sovereignty) ausgearbeitete Konzept der „Responsibility to Protect“ diskutiert werden, welches in einem engen Zusammenhang mit den vermehrt auftretenden humanitären Interventionen steht.
Aufgrund der Aktualität bietet es sich an, etwaige theoretische Überlegungen an Hand des Libyenkonfliktes zu konkretisieren. Auch wenn in den Medien ein positiver Grundtenor in Bezug auf die humanitäre Intervention wahrnehmbar ist, täuscht dies nicht über die Tatsache hinweg, dass eine kritische Auseinandersetzung bezüglich der Rechtmäßigkeit dieses Einsatzes stattfindet. Kritische Stimmen, wie beispielsweise der Hamburger Professor für Rechtsphilosophie und Strafrecht, Reinhard Merkel, sehen in der Libyen Intervention durchaus einen Bruch mit dem Nichteinmischungsgebot nach Artikel 2 der UN-Charta12. Einige Kommentatoren setzen die Libyen Intervention mit einem „Regime Change“ gleich, der von aussen aufoktroyiert wurde. Gleichzeitig wird das „Responsibility to Protect“ Konzept, sowie das Recht auf humanitäre Intervention missbraucht, so der Vorwurf. Dieser Zustand würde es Staaten ermöglichen je nach Bedarf zu intervenieren. Auch wenn im Sicherheitsrat ein großer Pluralität´s Druck vorherrscht, könnte die Möglichkeit zur Intervention von den „Permanente Five“ ausgenützt werden.
Aufgrund diese kritischen Überlegungen stellen sich neuen Fragen in Bezug auf Motive und Absichten der intervenierenden Akteure. Sind wirtschaftliche Interessen beziehungsweise geopolitische Einflussmöglichkeiten die „wahren“ Gründe von humanitären Interventionen? Zugleich muss man sich die Frage stellen, warum wird in Syrien nicht eingegriffen, obwohl das Regime Baschar Al- Assad´s ebenfalls Verbrechen gegen die Menschheit zu verantworten hat. Ab wann darf bzw. soll die Staatengemeinschaft eingreifen? Kann es überhaupt klar festgelegte Kriterien und Maßstäbe geben, bei denen das Ausmaß an Menschenrechtsverletzungen erfüllt ist und eine humanitäre Intervention somit nötig wird? All diese Fragen drehen sich um eine Problemfeld der Internationalen Politik, nämlich der staatlichen Souveränität und der humanitären Intervention.

humanitäre Intervention Serbien 1999


Das Souveränitätsprinzip
Jeder Staat der als Völkerrechtssubjekt auftritt verfügt über staatliche Souveränität, die sowohl nach innen als auch nach aussen gerichtet ist. Mit Beginn der Neuzeit und der Herausbildung der modernen Staaten entwickelte sich dieses Souveränitätskonzept. Maßgeblich beeinflusst wurde dieses durch die historischen Entwicklungen des zweiten Weltkrieges. Nach dem Sieg über den Nationalsozialismus und Faschismus, sollte das Souveränitätsprinzip eine Art Schutzfunktion einnehmen. Kleinere Staaten, die aufgrund ihrer fehlenden Machtposition innerhalb der internationalen Staatengemeinschaft eine untergeordnete Rolle einnahmen, sollten durch dieses Konzept formell gleichgestellt werden. Auch wenn dies aufgrund der realen Machtstrukturen eine rein formelle Gleichstellung war, sollte es den schwächeren gegenüber dem stärkeren Staaten einen gewissen Schutz vor feindlichen Aggressionen bieten. Diese formelle Gleichheit spiegelt sich in Artikel 2.1 der Charta der Vereinten Nationen wieder. Dabei wird festgeschrieben, dass alle Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen über die gleichen Souveränitätsrechte verfügen. Hierbei sollte jedoch betont werden, dass das Souveränitätskonzept nicht nur in einem Spannungsverhältnis mit dem Konzept der humanitären Intervention steht, sondern aufgrund der aktuellen Globalisierungstendenzen zusätzlich abgeschwächt wird. Man könnte auch von einer Erosion staatlicher Souveränität sprechen, betrachtet man jüngere Theorien Internationaler Politik. Neben der Transformation der Souveränität, muss man dieses Konzept einer stark vernetzen Welt gegenüberstellen. So bleibt die Unabhängigkeit der Staaten ein rein formelles Konzept, welches, die vorherrschenden internationalen Machtstrukturen nicht miteinbezieht.

Das Prinzip der Menschenrechte
Neben den Entwicklungen hinsichtlich des Souveränitätskonzeptes unterliegt auch das Konzept der Menschenrechte einer ständiger Veränderung. Ende des 18. Jahrhunderts entwickelten sich die Grundzüge der Menschenrechte im Zusammenhang mit der Französischen Revolution. Die Menschenrechte sind daher eine Idee des „Westens“, die im 20. Jahrhundert internationale Verbreitung fanden. Kodifiziert wurden sie jedoch erst nach dem 2. Weltkrieg und es kam zu einer „systematischen internationalen Verrechtlichung“. Dabei sollte betont werden, dass die Menschenrechte am Anfang des 20. Jahrhunderts eine Angelegenheit der souveränen Staaten“ waren.
Betrachtet man die Menschenrechte im Zusammenhang mit dem völkerrechtlichen Souveränitätsprinzip, so muss man festhalten, dass ihre Daseinsberechtigung innerhalb der internationalen Politik nicht unumstritten ist. Aufgrund der Tatsache, dass sie ein Verhältnis der Staaten mit ihren Bürgern widerspiegeln, wäre eine internationale Regulierung der Menschenrechte ein Verstoß gegen das Souveränitätsprinzip, welches eine Einmischung in innere Angelegenheiten verbietet.
Am 10. 12. 1948 kam es zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, diese war jedoch noch nicht völkerrechtlich verbindlich. Erst 1966 wurden die zwei Menschenrechtspakete über die „bürgerlichen und politischen Rechte“ sowie über die „wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte“ verabschiedet, die 1976 ihre Gültigkeit erlangten. Diese Menschenrechtspakte wurden bis jetzt von 160 Staaten ratifiziert. Nicht nur auf internationaler, sondern auch auf regionaler Ebene unterliegen die Menschenrechte einer Kodifizierung. So gibt es beispielsweise eine afrikanische Charta der Menschenrechte. Eine von der Arabischen Liga verabschiedete Menschenrechts- Charta scheiterte allerdings aufgrund der spärlichen Ratifizierung der Mitgliedsstaaten.
Für die Gründe, warum Staaten eine internationale Regulierung der Menschenrechte akzeptieren und somit Souveränitätsrechte abgeben bzw. auf Teile ihrer staatlichen Unabhängigkeit verzichten, gibt es mehrere Erklärungsansätze. Insbesonders die „großen“ Theorien der internationalen Politik, wie der Realismus, Institutionalismus oder Liberalismus liefern dafür diverse Erklärungsansätze. So versucht beispielsweise der Realismus die Ratifizierung der Menschenrechte auf die U.S. amerikanische Hegemonie nach 1945 zurückzuführen.
Ganz einen anderen Ansatz liefert der Konstruktivismus. Er geht davon aus, dass kulturelle Normen, Staaten dazu bewegen, sich zur Einhaltung der internationalen Menschenrechte zu verpflichten. Die kulturelle Normsetzung basiert auf der Funktionsweise eines „Lernprozesses“. Durch Ereignisse wie beispielsweise den Völkermord in Ruanda oder die Nato Intervention im Kosovo, werden „kollektive Erfahrungen“ gemacht, die einen Legitimationsdruck auf die internationale Staatengemeinschaft ausüben. Das Ergebnis dieses Prozesses sind Menschenrechtsnormen die von staatlichen Regierungen eingehalten werden müssen.
Durch die immer stärker werdende Implementierung der Menschenrechte veränderten sich auch die „Instrumente“ mit denen man die Verletzung der Menschenrechte sanktionierte. Nach dem Ende des Kalten Krieges wurden Menschenrechtsverletzungen als eine Gefährdung des Weltfriedens betrachtet. Sollte dieser gefährdet werden, obliegt es dem Sicherheitsrat mögliche Sanktionen nach Kapitel 7 der Charta, zu beschließen. In diesem Kapitel werden jene Sanktionen auch als „zu ergreifende Maßnahmen“ bei „Bedrohung oder Bruch des Friedens“ bezeichnet. Dadurch wurde eine Grundlage für humanitäre Interventionen geschaffen.
Durch die Stärkung des Menschenrechtsschutzes verloren die Staaten die interne Souveränität in Bezug auf Überprüfung der Menschenrechte. Somit war die Einhaltung des Menschenrechtsschutzes nicht mehr bloß eine Angelegenheit zwischen dem Staat und seinen Bürgern. Aufgrund dieser Entwicklung erhielten die Menschenrechte Einzug in die internationale Politik und deren Missachtung wurde als ein Rechtfertigungsgrund für humanitäre Interventionen herangezogen. Prinzipiell werden Staaten daher nur mehr dann als legitim betrachtet, wenn sie fundamentale Menschenrechtsverletzungen unterlassen. Zusätzlich verpflichten sich die Mitgliedsstaaten einen „Zustand der Stabilität und Wohlfahrt herbeizuführen“, um den angestrebten Frieden zu sichern. Um dies umzusetzen, fördern die Vereinten Nationen die „Verwirklichung der Menschenrechte“. Damit obliegen etwaige Menschenrechtsfragen nicht mehr der alleinigen staatlichen Kontrolle, sondern die Kompetenz wird auf die Organe der Vereinten Nationen übertragen.
In der Praxis hängt die Wahrscheinlichkeit einer Intervention jedoch von zahlreichen machtpolitischen Faktoren ab. Betrachtet man die aktuellen Ereignisse des arabischen Frühlings, so lässt sich keine Aussage darüber machen, ab wann das Maß an Menschenrechtsverletzungen erreicht wird, bei dem eine Intervention erforderlich ist. So wurde in den Libyenkonflikt eingegriffen, in Syrien oder Bahrain kam es jedoch zu keiner Intervention. Dies lässt die Vermutung aufkommen, dass bei humanitären Interventionen, willkürliche Kriterien herangezogen werden. Eine festgeschriebene Regel für einen Tatbestand der eine Intervention rechtfertigen würde, gibt es nicht.
Betrachtet man ganz generell den Interventionsbegriff im Zusammenhang mit der Charta der Vereinten Nationen, so lässt sich festhalten, dass im Artikel 2 Nr. 4 ein Gewaltverbot festgeschrieben ist. Wie oben bereits beschrieben, veränderte sich sowohl das Souveränitätskonzept als auch der Menschenrechtsschutz. Durch Ereignisse wie beispielsweise dem Völkermord in Ruanda wurden neue Erfahrungen gemacht, die auch Einfluss in die aktuelle Menschenrechtspolitik nahmen. So entwickelte sich auch das Konzept der „Responsibility to Protect“, die einen funktionierenden Menschenrechtsschutz gewährleisten sollte.
Aufgrund der von Kofi Annan angeheizten Diskussion bezüglich einer „Rekonzeptionalisierung“ des Souveränitätsbegriffes, wurde vom damaligen kanadischen Außenminister eine Kommission gegründet, die sich mit der Thematik auseinandersetzen sollte. Die ICISS (International Commission on Intervention and State Sovereignty) veröffentlichte den Bericht „The Responsibility to Protect“, der die aktuellen Entwicklungen in Bezug auf staatliche Souveränität und Menschenrechtsschutz analysierte. Darin wird auf das sich verändernde Souveränitätsverständnis eingegangen und zugleich fünf Prinzipien angeführt, die einen annehmbaren Menschenrechtsschutz gewährleisten sollten.
Zentral dabei ist, dass sich der Souveränitätsbegriff fundamental veränderte. „[Der] Souveränitätsbegiff wird im Gegensatz zum klassischen Verständnis nicht mehr als Recht der Staaten gegeneinander, sondern als Pflicht gegenüber ihren eigenen Bevölkerungen definiert“. Führt man diese Überlegung weiter aus, wären trotz des Interventionsverbotes nach Artikel 2 Nr. 4. humanitäre Interventionen zulässig, da Staaten ihre Souveränität aufgrund von Menschenrechtsverletzungen verlieren. Kann ein Staat den Menschenrechtsschutz nicht mehr gewährleisten, wird dieser den Vereinten Nationen übertragen.
Dennoch sind militärische Interventionen zum Schutz der Menschenrechte aufgrund des „Responsibility to Protect“ Prinzips an zahlreiche Verpflichtung gebunden. Militärische Interventionen werden nur dann als zulässig erachtet, wenn mögliche zivile Sanktionsinstrumente nicht mehr greifen oder bereits „ausgeschöpft“ sind. Des weiteren müssen geplante Interventionen Erfolgsaussichten aufweisen und bezüglich der Ausführung bedarf es klarer Regelungen. So müssen die dafür benötigten Ressourcen bereitstehen und die intervenierenden Akteure sollten über ein politisches Mandat verfügen. Bedenkt man die aktuelle Libyen Intervention und die festgefahrene Situation der Konfliktparteien im Sommer 2011, so waren die Kriterien auf Erfolgsaussichten bei weitem nicht erfüllt. Auch wenn der „Responsibility to Protect“ Bericht „vermeintliche“ Kriterien für Interventionen festlegt, bleibt das Recht auf Anwendung von humanitären Interventionen den partikularen Interessen der „Permanent Five“ im Sicherheitsrat überlassen.
Dieser Zustand, sowie das Spannungsfeld zwischen staatlicher Souveränität und dem Schutz der Menschenrechte wird in der Literatur auch als eine Art „Dilemma“ beschrieben.



Konstruktivismus- Legitimationsstrategien im Diskurs
Mit einem etwas unkonventionellen Zugang zu diesem Problemfeld begreift der Konstruktivismus diese beiden Konzepte nicht per se als „konträr“. Wie bei der Herausbildung der Menschenrechte oben bereits beschrieben, versteht sich der Konstruktivismus als ein Theorieansatz der kulturelle Normen in das Zentrum der Analyse rückt. Die beteiligten Akteure stimmen ihre Handlungsweisen auf die Normen und Werte ab, die anhand von Diskursen ständig produziert bzw. reproduziert werden.33 Somit sind sie nicht einzig und allein ihren eigenen Interessen verpflichtet, sondern sie versuchen ihr Handeln innerhalb des Diskurses zu begründen. Dieser Diskurs wird von unzähligen Akteuren mitgestaltet und es wird zugleich festgelegt, was als erstrebenswert oder als verwerflich gilt. Dabei spielen nicht mehr nur die Nationalstaaten eine entscheidende Rolle, sondern Akteure wie beispielsweise Medien gestalten den Diskurs entscheidend mit.
Verbindet man nun diese theoretischen Überlegungen mit dem Spannungsfeld der humanitären Intervention und dem Konzept der staatlichen Souveränität, so könnte man sagen, dass es sich nicht primär um einen „direkten“ Kampf, um die Implementierung eines dieser beiden Konzepte handelt. Das Nullsummenspiel, entweder staatliche Souveränität oder Menschenrechtsschutz, würde so nicht stattfinden. Vielmehr geht es um die Durchsetzung von diskursiven Praktiken. Eine zentrale Rolle spielen hier nicht mehr die Interessen der Nationalstaaten, sondern es treten auch andere Akteure, wie beispielsweise Medien in den Diskurs mit ein. Aus konstruktivistischer Sichtweise sind die Nationalstaaten daher nicht mehr die alleinigen Akteure eines Konfliktes. Zentraler Untersuchungsrahmen ist der von den unterschiedlichen Akteuren geführte Diskurs. Dabei lassen sich zugleich Strategien der teilnehmenden Akteure erkennen, um eine Deutungshoheit im Diskurs zu erlangen.
Die dänische Politologin Helle Malmvig setzt sich mit der Rolle von humanitären Interventionen auseinander und analysiert anhand des vorherrschenden Interventionsdiskurses, diese diskursiven Strategien. In der konventionellen Auffassung verletzt eine Intervention die staatliche Souveränität und schützt das Konzept Menschenrechte. Helle Malmvig, die von einem poststrukturalistischen Standpunkt aus argumentiert, stellt sich gegen diese Auffassung und geht gleichzeitig davon aus, dass Interventionen nicht nur staatliche Souveränität verletzen, sondern diese sogar verstärken bzw. wie sie argumentiert, Interventionen staatliche Souveränität reproduzieren.
Dabei bezieht sie sich, wie sie es bezeichnet, auf drei diskursive Argumentationsstrategien, nämlich Genozid, Verbrechen gegen die Menschheit und Verletzung der Menschenrechte, die zentrale Schlüsselrollen im Prozess der Legitimation von Interventionen einnehmen und zugleich Bedeutungen für die staatliche als auch menschliche Souveränität schaffen.
Malmvig widerspricht der vorherrschenden Ansicht, dass sich die staatliche Souveränität in einem Umbruch befindet. „[R]ather than eroding state sovereignty current legitimations of intervention are reproducing the existence and importance of state sovereignty“. Die Politologin bezieht sich hierbei auf Foucault, indem die drei Legitimationsstrategien, Genozid, Verbrechen gegen die Menschheit und Verletzung der Menschenrechte als eine diskursive Praxis fungieren und somit auch als performativ zu bezeichnen sind. Von dieser poststrukturalistischen Sichtweise ausgehend, stehen daher nach Malmvig, staatliche Souveränität und humanitäre Souveränität in keinem unlösbaren Konflikt zueinander. Das von ihr bezeichnete Nullsummenspiel, welches in der konventionellen Sichtweise vorherrschend ist, wird durch den poststrukturalistischen Zugang aufgehoben.
Im Diskurs, der nach Malmvig nicht nur von einzelnen Theoretikern der Internationalen Beziehungen mitgestaltet wird, sondern auch von Seiten der Politik und Medien beeinflusst wird, stehen die beiden Begriffe Intervention und staatliche Souveränität in einem konträren Verhältnis zueinander. Der Begriff der Intervention ist jedoch abgeleitet vom Begriff der Souveränität, da man im Sprechen über Intervention bereits das Konzept der Souveränität gedanklich verinnerlicht hat.
Malmvig betont weiters, dass der staatlichen Souveränität eine gewisse Bedeutung zugeschrieben wird. Dies kennzeichnet sich dadurch, dass man dem Konzept staatlicher Souveränität die Fähigkeit beimisst, für Ordnung auf nationalstaatlicher als auch auf internationaler Ebene zu sorgen. Im Gegensatz dazu wird Intervention als eine Gefahr für diese Ordnung angesehen, da es das Konzept der staatlichen Unabhängigkeit in Frage stellt und somit auch eine Gefahr für die Sicherheit darstellt. Dadurch wird Souveränität als etwas „normales“ und Intervention als etwas gegen die Norm der Internationalen Politik verstoßendes repräsentiert, was in weiterer Folge eine Legitimation von Intervention erforderlich macht. Durch den Akt der Legitimation geht man nach Malmvig jedoch davon aus, dass staatliche Souveränität etwas „Gutes“ ist und reproduziert somit das Konzept. Nach Malmvig bilden Identitäten die Grundlage der diskursiven Strategien. Diese Identitäten sind durch einen unangefochtenen Status der Souveränität des Einzelnen gekennzeichnet. Wird diese Souveränität verletzt, werden nicht nur die Identitäten der Betroffenen in Frage gestellt, sondern auch eine universelle Idee steht am Spiel.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass eine Intervention, staatliche Souveränität nicht untergräbt. Im Gegensatz zur konventionellen Vorstellung, die auf Grundlage eines Nullsummenspiels zwischen staatlicher und humanitärer Souveränität aufbaut, argumentiert die Autorin, dass mit einer Intervention, diese beiden Ideen zugleich gestärkt und reproduziert werden. Die Wissenschaft sollte sich daher nicht mit der Unvereinbarkeit dieser Vorstellungen auseinandersetzen, sondern vielmehr sich über die Rolle dieser beiden Souveränitätskonzepte im vorherrschenden Diskurs bewusst werden.
Was bedeutet dies nun für den Libyenkonflikt? Führt man Malmvig´s Überlegungen weiter aus, so sollte in einer Analyse dieses Konfliktes, die zentralen diskursiven Strategien der beteiligten Akteure analysiert werden. Dies bedeutet, dass man sich zuerst klar darüber werden muss, wer die Gestalter dieses Diskurses sind. Eine bedeutende Rolle wird hier sicherlich den Medien zu Teil, da sie über eine mächtiges Instrumentarium verfügen mit dem sie den Diskurs mitgestalten. Aufgrund des Sturzes des Diktators Muammar al- Gadhafi und dem Sieg der Rebellen wird die militärische Libyen Intervention auch Einfluss auf Legitimationsstrategien für zukünftige Militäroperationen nehmen. Es ist daher unerlässlich den Diskurs kritisch zu hinterfragen und die diskursiven Praktiken der Akteure zu beleuchten mit denen sie militärische Operationen rechtfertigen. Der Konstruktivismus bietet für diese Art von Analyse einen passenden theoretischen Rahmen.
Bezüglich der Nato Intervention in Libyen muss abschließend festgehalten werden, dass sich der „vermeintliche“ Erfolg erst dann abzeichnen wird, wenn sich in Libyen nicht nur ein reiner Regimewechsel abzeichnet, sondern sich demokratische Strukturen entwickeln. Dieser Prozess muss allerdings vom libyschen Volks ausgehen, alles andere wäre eine Aufoktroyierung von aussen und zum Scheitern verurteilt.


Literaturverzeichnis

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Münkler, Herfried (2009): Bedeutung, Entwicklung und Perspektiven eines umstrittenen Begriffs. In: Malowitz, Karsten/ Münkler, Herfried (Hg.): Humanitäre Intervention. Ein Instrument außenpolitischer Konfliktbearbeitung. Grundlagen und Diskussion. VS für Sozialwissenschaften. Wiesbaden

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Schimmelfennig, Frank (2010): Internationale Politik. 2. Auflage. Verlag Ferdinand Schöningh. Paderborn. Seite 163

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Die Zeit Online: Nato bereitet Schnelles eingreifen in Libyen vor. 10.03.2011 http://www.zeit.de/politik/ausland/2011-03/libyen-nato-gipfel (abgerufen am 30.09.2011)
Die Zeit Online: Der illegitime Triumph 08.09.2011 http://www.zeit.de/2011/37/Libyen (abgerufen am 29.03.2011)

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